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Sound of silence

In restless dreams I walked alone, narrow streets of cobblestone”. Textzeile aus dem Welthit von Simon and Garfunkel “Sound of Silence”, die mich zu einer kurzen Geschichte inspiriert hat, die von "Alleinsein, Einsamkeit" und einer diesbezüglichen Verbindung zur Streetphotography handelt... .

Er trat aus der Türe des zweistöckigen Wohnhauses, wo er nun schon seit vielen Jahren lebte und hielt auf dem Gehsteig kurz inne.  Die schwache Dezembersonne vermag sein Antlitz kaum zu wärmen, aber doch zauberte sie ihm ein Lächeln in sein Gesicht. Leichten Schrittes ging er über die Straße in den Park, der gegenüber seinem Wohnhaus lag. Unter dem Arm trug er seine Zeitung, die wie immer am Sonntag ihr wunderbares doppeltes Maß hatte, das ihm immer einige Zeit angenehmen Lesegenuß bereitete. Er entdeckte sofort eine leere Parkbank, die in der Sonne lag, wo er sich niederließ. Er trug seinen schwarzen Wintermantel, der warm genug war, um im Freien zu sitzen. Er zog die Handschuhe aus, faltete die Zeitung auseinander, setzte seine Lesebrille auf und vertiefte sich gleich in den ersten Artikel. Ein kleines, kaum merkbares Lächeln blieb in seinem Gesicht und drückte damit Entspannung aus, die er durch eine herrliche Ruhe und sein bewußtes Alleinsein in dem Moment erlebte. Er liebte seine Familie über alles und doch sind es diese Momente der Stille und die damit verbundene Zeit mit und für sich alleine, die er zwischendurch brauchte und die ihn glücklich machten.

Kurz danach verließ sein Nachbar das Wohnhaus. Die Sonne schien ihm unangenehm ins Gesicht. Er zog seinen Hut etwas stärker über die Stirn, damit ihn die Strahlen nicht blendeten. Er ging über die Straße in den Park, hatte seine Zeitung im Gepäck, die er auf einer Bank lesen wollte. Dem Wetterbericht nach hatte es so  um die zehn Grad , ein warmer Tag für Anfang Dezember. In der Wohnung fiel ihm wieder einmal die Decke auf dem Kopf. Kein “Guten Morgen”, dass er zu jemanden sagen kann, nur die unangenehme Stille, mit der er jeden Tag leben musste. Wie oft sagte er beim Betreten der Wohnung “Hallo ist da jemand”, ich bin zuhause”, doch seit dem Tod seiner Frau vor einigen Jahren antwortete ihm niemand mehr. Er ging ein paar Schritte den Parkweg entlang, um sich eine Bank zu suchen, die in der Sonne lag.  Er entdeckte eine Parkbank, die ideal für seine Zeitungslektüre gewesen wäre, doch dort saß bereits ein anderer Mann , ein paar Jahre jünger als er,  der ebenfalls las. Er nahm drei Meter weiter die nächste Bank, löste seinen warmen Schal vom Hals, den er ob der angenehmen Wärme nicht brauchte, faltete ihn zu einem Quadrat, legte ihn auf die Parkbank, um sich daraufzusetzen, weil die Sitzfläche doch noch recht kalt war. Mehrere Jogger und Spaziergänger kreuzten seinen Weg, doch niemand nahm Notiz von ihm, keiner setzte sich zu ihm, mit dem er vielleicht ein paar Worte wechseln könnte. Er war wie immer alleine und einsam. Er sah zu dem anderen Mann hinüber, der in seiner Zeitung blätterte, glaubte in ihm einen seiner Nachbarn zu erkennen, die er immer nur flüchtig wahrnahm und dachte, dass es ihm wahrscheinlich nicht anders geht… .

Die beiden waren eine Zeit lang vertieft in ihre Zeitungen, bis es ihnen trotz der angenehmen Temperatur für diese Jahreszeit doch zu kalt wurde. Sie erhoben sich fast gleichzeitig von ihren Bänken und beim Aufstehen nahmen sie Notiz von sich.  Dem Älteren der beiden fiel beim Aufstehen der Schal , auf dem er gesessen war, auf den Boden. Als er sich danach bücken wollte, hatte der andere Mann, der jüngere von den beiden, ihn bereits hochgehoben und reichte ihm das elegante karierte Wollstück mit einem Lächeln. Da sie im selben Haus wohnten, gingen sie gemeinsam den Weg zurück und kamen so miteinander ins Reden. Seit dieser Begegnung trafen sie sich nun immer wieder, zuerst zufällig, dann immer bewußter und entdeckten im Laufe der Zeit einige Gemeinsamkeiten, die sie in kurzweiligen Gesprächen austauschten. Aus der unbekannten Nachbarschaft entwickelte sich eine gegenseitig wertschätzende und wertvolle Bekanntschaft, die auch dazu führte, dass der kinderlose Ältere nunmehr den für ihn so schrecklich einsamen Weihnachtsabend, im Kreise der Familie seines Nachbarn verbrachte. 

Gehen wir einsam oder gehen wir alleine ? Als Zustand ist der Klang des Schweigens, für viele aber ob seiner Stille ohrenbetäubend und schmerzhaft. Mangel an Kommunikation in einer Welt, die dzt. nur so überbordet von Möglichkeiten zu kommunizieren. Als Streetfotografen streifen wir ja auch meist alleine mit unserer Kamera durch die Straßen und sind auf der Suche nach lohnenden Motiven. Einsam sind wir dabei nicht, alleine (meist) schon. Wann wird das Alleinsein zur Einsamkeit ? Das “Alleinsein” suchen wir manchmal bewußt und brauchen das auch, um unsere Batterien aufzuladen, unsere Kreativität zu wecken. Alleine sein zwingt uns zu viel Positivem, es bringt uns dazu, dass wir Manches unseres Tuns und sogar Teile unseres Lebens neu organisieren. Die "natürliche Einsamkeit der Dunkelheit", die in dem Lied von Simon and Garfunkel eine wichtige Rolle spielt, bietet uns die Möglichkeit mit unseren Gedanken und Gefühlen alleine zu sein. Damit muss sie nicht negativ besetzt sein, sondern kann uns einen persönlichen Zufluchtsort umrahmen , den  wir manchmal brauchen.

 

Im Gegensatz dazu kann es ein dauerhaftes Schweigen geben, das jemanden wie einen dicken Mantel einhüllt, aber nicht wärmt, sondern frösteln lässt - Einsamkeit, die sich in der Regel aus unfreiwilligem Alleinsein ergibt.

 

Stoßen wir nicht auf der Suche nach Kompositionen im Rahmen der Streetfotografie immer wieder auf Menschen, die uns ins Auge stechen, weil sie inmitten anderer Personen alleine oder einsam wirken ? Bei der Betrachtung von Portfolios von Streetfotografen entdecke ich oft Bilder, die eine einzelne Person im Kontext zu seiner Umgebung zeigt und der Mensch somit als alleinstehende Person heraussticht. Und ich stelle mir manchmal die Frage, sind diese Menschen, in dem Moment, wo der Fotograf sein Bild gemacht hat, einsam oder nur alleine ? Auch bei den Bildern, die diesen Blogbeitrag begleiten, ist diese Frage legitim. Eine Antwort darauf wird wohl nicht so einfach gegeben werden können… 

“Schweigen trägt den Krebs in sich. Greift meinen Arm, der fest Euch trägt”, sind zwei weitere, ins Deutsche übertragene, Textzeilen aus “Sound of Silence”... .

 

In der Hoffnung, dass viele von Ihnen, von Euch zu Weihnachten im Kreise von lieben Menschen “getragen” werden und mit einem ganz herzlichen Danke allen, die heuer meinen Blog besucht und sich für meine Bilder und Texte interessiert haben, verabschiede ich mich für 2019 und wünsche besinnliche, aber auch fröhliche Weihnachten und alles Gute für 2020!

 

 

Euer/Ihr

Bernd Grosseck 

P.S.: (Update 20.11.21): Mein Fotoprojekt "Sound of Silence" geht nun schon in das dritte Jahr, tieferstehend die links zum Artikel aus dem Jahr 2020 und zum Beitrag vom November 2021. 

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Kommentare: 4
  • #1

    Bernhard (Sonntag, 22 Dezember 2019 18:07)

    Hallo,

    wünsche Dir noch ein ruhiges Weihnachtsfest und einen guten Start ins Jahr 2020.

    LG Bernhard

  • #2

    Bella Bellini (Montag, 23 Dezember 2019 18:43)

    Die Bilder sind sehr schön und haben das Thema *Alleinsein* vollstens getroffen. Ich wünsch dir friedvolle Tage mit vielen schönen Momenten, im Kreise deiner Lieben.

  • #3

    Ulrike (Donnerstag, 26 Dezember 2019 12:29)

    Wunderbare Zeilen lieber Bernd die gekonnt versuchen diesen schmalen Grat zwischen Alleinsein u Einsamkeit herauszuarbeiten - manchmal sind die Grenzen verschwimmen manchmal sehr klar u deutlich u dennoch ist es ein Geschwisterpaar will ich meinen ! Alles liebe Dir und Family
    Herzlich
    Ulrike

  • #4

    Bernd Grosseck (Donnerstag, 26 Dezember 2019 13:04)

    Euch vielen lieben Dank für Euer nettes feedback und mit den besten Wünschen, dass Ihr gut in ein gesundes, glückliches und friedvolles 2020 rutscht!